Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse
des Amtsgerichts Dannenberg aufgehoben




Beschluss in dem Ermittlungsverfahren

26 Qs 192/05 Landgericht Lüneburg
26 Qs 193/05 Landgericht Lüneburg
11 Gs 196/05 Amtsgericht Dannenberg
11 Gs 200/05 Amtsgericht Dannenberg
5103 Js 17915/05 Staatsanwaltschaft Lüneburg

Gegen

  1. Martin Nesemann ..., wohnhaft: 29473 Göhrde, Tollendorf 9,
    Verteidiger: Rechtsanwalt Schön aus Hamburg,

  2. Elisabeth Krüger ..., wohnhaft: 29473 Göhrde, Tollendorf 9,
    Verteidiger: Rechtsanwalt Römmig aus Hamburg,

wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten

hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg den Richter am Landgericht Dr. Gütschow, die Richter am Landgericht Dr. Brodhun und Wolter am 6. September 2005 beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten Nesemann wird der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 8. August 2005 aufgehoben.

  2. Auf die Beschwerde der Beschuldigten Krüger wird der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 11. August 2005 aufgehoben.

  3. Die notwendigen Auslagen der Beschuldigten im Beschwerdeverfahren tragt die Landeskasse.


Gründe:

Die Beschwerden haben Erfolg.

Die als Widerspruch gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 8. August 2005 bezeichnete Beschwerde des Beschuldigten Nesemann und die Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss vom 11. August 2005 der Beschuldigten Krüger sind zulässig. Eine Beschwerde gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung nach beendeter Durchsuchung ist im Hinblick auf den Verfassungsrang der Unverletzlichkeit der Wohnung zulässig. Zwar sind Beschwerden zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Vollzug oder andere Weise getätigten richterlichen Anordnung grundsätzlich unzulässig. Ausnahmsweise bleibt die Beschwerde aber zulässig in Fallen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann. Zu der Fallgruppe tiefgreifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört die Durchsuchung von Wohnräumen aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung (vgl. BVerfG, NJW 1999, S. 273).

Die Beschwerden sind auch begründet.

Das Amtsgericht Dannenberg hat zu Unrecht gegen die Beschuldigten Durchsuchungsbeschlusse erlassen.

Voraussetzung einer Durchsuchungsanordnung nach §§ 102, 103, 105 StPO ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen, nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Hierfür müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. In diesem Zusammenhang muss stets berücksichtigt werden, dass eine Durchsuchung schon ihrer Natur nach regelmäßig schwerwiegend in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen, namentlich auch in das Grundrecht aus Artikel 13 Grundgesetz eingreift. Sie steht daher ebenso wie ihre Anordnung von vornherein unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der jeweilige Eingriff muss insbesondere ein angemessenes Verhältnis zur Stärke des bestehenden Tatverdachtes wahren (vgl. BVerfG, NJW 91, 690, m. w. N.).

Diese Voraussetzungen einer Durchsuchung sind bei den Beschuldigten nicht gegeben. Das Amtsgericht hat den nach §§ 102, 103, 105 StPO erforderlichen Anfangsverdacht wegen einer Straftat der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten nach § 111 StGB zu Unrecht bejaht. Für einen Anfangsverdacht nach § 111 Abs. 1 StGB ist erforderlich, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Täter zu einer bestimmten kriminellen Tat auffordert bzw. aufgefordert hat. Insbesondere die im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigende außerordentliche Schwere des Grundrechtseingriffs gebietet es hierbei, die der Durchsuchungsanordnung zu Grunde liegende Straftat angemessen zu würdigen. Vorliegend geht es nach Ansicht der Ermittlungsbehörden um die - erfolglose - öffentliche Aufforderung zu einem Diebstahl, einem Vergehen, so dass eine restriktive Prüfung der Durchsuchungsvoraussetzungen geboten ist. Vor diesem Hintergrund ist ein Anfangsverdacht nach § 111 Abs. 1 StGB vorliegend zu verneinen.

Auf der Internetseite ,precair-camp 2005", www.precair-camp.org, findet sich ein Hinweis auf eine Camp-Veranstaltung, in der Workshops, Veranstaltungen und andere Aktionen im Zeitraum 5. August bis 13. August angeboten werden, unter anderem Diskussionen über "Harz IV", ,Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870", ein Theaterstück mit dem Namen "Ich bin eine Aktie" sowie Diskussionen zum Thema "G 8 2007" und "1-Euro-Jobs". Weiterer Veranstaltungspunkt ist etwa am 6. August 2005 ein Workshop mit dem Thema "Umsonst: Ist Klauen revolutionär?" sowie am 7. August 2005 ein "Workshop für die Herstellung von Hilfsmitteln zur Aneignung verschiedener Wünsche und Lebensräume - YOMANGO". Konkreter Anlass für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses war eine für den 10. August 2005 angekündigte Aktion, die wie folgt lautete: ,Mittwoch, 10. August, 11:30 Uhr, Luchow am Tag, YOMANGO - MODENSCHAU (möglichst mit Umsonst-Bufett)".

Aufgrund weiterer Internetrecherchen der Polizei unter dem Stichwort YOMANGO, spanisch umgangssprachlich "ich stehle", liegt es nahe, dass in der Vergangenheit sowohl im europäischen Ausland als auch teilweise - möglicherweise - in Kassel und Hannover in so genannten "YOMANGO-Aktionen" Straftäter Geschäfte aufgesucht haben, um in diesen - angeblich aus Protest gegen die steigende Kommerzialisierung - Gegenstände zu stehlen. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat sind in dem Veranstaltungshinweis vom 10. August 2005 nicht - auch nicht im Gesamtkontext mit den anderen Veranstaltungen - zu sehen. Auch wenn den Veranstaltern des "precair-camp 2005" die Bedeutung des Wortes "YOMANGO" bewusst gewesen sein dürfte - die Beschwerdebegründung ist insoweit abwegig -, denn hierauf deuten u.a. die Veranstaltungsthemen "Umsonst: Ist klauen revolutionär?" und "YOMANGO auf Deutsch": ,Praxisworkshop für die Herstellung von HiIfsmitteln zur Aneignung verschiedenen Wünsche und Lebensräume" hin, kann jedenfalls auch unter Berücksichtigung der übrigen Programmpunkte nicht auf eine hinreichend bestimmte Aufforderungstat Rückschlusse gezogen werden.

Für einen Anfangsverdacht nach § 111 Abs. 1 StGB ist erforderlich, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Täter zu einer bestimmten kriminellen Tat auffordert bzw. aufgefordert hat. Dies ist vorliegend nicht gegeben. Es fehlt bei dem eher vorbereitenden Veranstaltungspunkt vom 10. August 2005 an den hinreichend bestimmten Angaben zum genauen Ort und der Art der Tat. Zahlreiche Fragen sind offen bzw. die Antworten auf diese Fragen sind bloße Vermutungen: Sollten am 10. August 2005 überhaupt Diebstähle begangen werden? Oder lediglich Proteste - mit "Modenschau"? Oder aber Diebstähle mit Vermummung? Wo sollten etwaige Taten stattfinden? In welchen Geschäften sollte in der provinziell angehauchten Kleinstadt Lüchow gegen angeblich zunehmende Kommerzialisierung durch Diebstähle "protestiert" werden? Oder sollte Lüchow lediglich Treffpunkt sein?

Weitere Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere fand am 10. August 2005, also vor der eigentlichen Durchsuchung der Wohnungen der Beschuldigten am 11. August 2005, wenngleich erst nach dem Durchsuchungsbeschluss vom 8. August 2005, keine derartige prognostizierte "YOMANGO-Diebstahlsaktion" in Lüchow oder Umgebung statt.

Nach alledem reichten - unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - die kriminalistischen Anhaltspunkte nicht aus, um vorliegend die Voraussetzungen für eine Durchsuchung anzunehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 3 StPO.

Dr. Gutschow
Dr. Brodhun
Wolter


Anmerkung: siehe auch Pressemitteilung vom 19.09.2005siehe auch Pressemitteilung vom 19.09.2005