Ungereimtheiten

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg hat der Richter beim Amtsgericht Dannenberg Thomas Stärk die Erlaubnis zur Durchsuchung und Beschlagnahme gegeben. Im Zusammenhang mit dieser richterlichen Entscheidung sind einige Ungereimtheiten aufgetaucht:

  • Was ist eigentlich der Tatvorwurf?
  • In welchem Verhältnis stehen Ermittlung und Durchsuchung / Beschlagnahme?
  • Wie sachkundig wurde entschieden?
  • Wie kam der zweite Beschluss zustande?


    Wegen was wird eigentlich ermittelt?

    Die Begründung der richterlichen Entscheidung gibt darüber keine Auskunft. Wörtlich heißt es im Durchsuchungsbefehl vom Montag, den 8.8.05:

      "Der Beschuldigte steht im Verdacht, öffentlich und durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert zu haben, indem er auf der Internetseite zum Prekär Camp eine 'Yomango-Aktion' am 10. August 2005 angekündigte. 'Yomango' steht in der spanischen Umgangssprache für: 'Ich stehle'. Unter der Kategorie 'Plakat und Aufruf' wird für die Teilnahme am Prekär Camp vom 5.-15. August geworben. Unter der Überschrift 'Es gibt was zu tun' wird das vorläufige Veranstaltungsprogramm mitgeteilt, in dem für den 10. August 2005 eine 'Yomango-Aktion' angekündigt wird. Domain-Inhaber der Webseite ist der Beschuldigte. Insoweit besteht der Tatverdacht, dass dieser die Aufforderung auf der Homepage öffentlich verbreitet."(Zitatende)

    Zum Vergleich mit den Tatsachen empfiehlt sich ein Klick auf www.prekaer-camp.org/aktiv.php

    Die einzige Aufforderung, die sich hier finden lässt, heißt "Que se vayan tod@s" (Sie sollen alle abhauen) und ist der Titel eines Films über Argentinien. Ebenso wenig lassen sich hier strafbare Handlungen ausmachen. Für den 10. August wird eine Yomango-Modenschau angekündigt. Die Antwort darauf, was Yomango bedeutet, bleibt die gesamte Homepage schuldig. Unter dem Menüpunkt Texte ist eine Rubrik "Aneignung" geführt. Selbst hier finden sich nur Texte theoretischer Natur. Diesem Mangel hat die Staatsanwaltschaft abgeholfen, indem sie eigenständig recherchiert hat. Leider blendet ihre Erklärung alles aus, was über die unvollständige Übersetzung hinausgeht. (Empfehlung: Geben Sie den Begriff mal bei Google ein!)

    Den zum Vorwurf gemachten Aufruf zu einer strafbaren Handlung gibt es nicht.


    In welchem Verhältnis stehen Ermittlung und Durchsuchung / Beschlagnahme?

    Beantragt wurde die Maßnahme am 5.8.; am 8.8. stimmte der Richter zu. Die zur Begründung genannte Aktion hätte am 10.8. sein sollen. Welcher Sinn ergibt sich aus polizeilicher Sicht für eine Maßnahme am 11.8.? Für Strafvereitelung ist es zu spät; die Urheberschaft für eine Tat, die nicht stattgefunden hat, ist nicht zu ermitteln.

    Einmal angenommen, eine Gruppe hätte im Programm den Punkt eingebracht: "Spuckt dem Staatsanwalt kräftig in die Suppe!" und hätte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie zu verbotswidrigem Tun auffordert. Das Strafgesetzbuch legt fest, dass Anstifter nicht schwerer bestraft werden dürfen als Täter. Was könnte die Durchsuchung von Räumen und die Beschlagnahme von Computern dazu beitragen, diejenigen ausfindig zu machen, die diese Aufforderung verbreiten?

    Zur Klärung der Haftungsfrage trägt diese Ermittlungsmaßnahme nicht bei. Der durch den Entzug von Produktionsmitteln angerichtete Schaden übersteigt das Maß einer theoretisch zu entrichtenden Strafe bei weitem.


    Wie kam der zweite Beschluss zustande?

    Nachdem die Durchsuchung bei Martin N. abgeschlossen war, machten die BeamtInnen ihre Absicht deutlich, nun auch die zweite Wohnung zu durchsuchen. Den Beginn einer Durchsuchung in polizeilicher Eigenermächtigung konnte die in ihrem Hausrecht verletzte aaa-Redakteurin nur unter Aufbietung aller Energie und mit Unterstützung ihrer Anwältin abwenden.

    Wenig später präsentierte der Einsatzleiter ein erkennbar hastig produziertes Dokument: er wies eine richterliche Entscheidung vor, die sich gegen Elisabeth K. richtete, im Begründungstext aber eindeutig auf einen Mann bezogen war. Außerdem trug dieses Papier keine Unterschrift. Nachdem die Anwältin darauf insistierte, allenfalls einen unterzeichneten Durchsuchungsbefehl zu akzeptieren, bemühte sich der leitende Kriminalbeamte Heinz Wolters bei Gericht um einen zweiten Beschluss. Durch einen seiner Mitarbeiter ließ er Richter Stärk aus einer Verhandlung rufen; dieser unterzeichnete in einer Sitzungspause den ihm vorgelegten Text.


    Wie sachkundig wurde entschieden?

    Eine aaa-Vertriebsmitarbeiterin führte am Freitag, den 12.8. ein Gespräch mit dem Richter Thomas Stärk über die Ereignisse vom Vortag. Die Zweifel an der Echtheit seiner Unterschrift räumte er aus. Der Kriminalbeamte Schorling habe ihm in einer Verhandlungsunterbrechung berichtet, durchs Fenster sei im Büro das Wort "prekär" zu lesen gewesen. In der Eile sei er, Stärk, von der Notwendigkeit überzeugt worden, auch der Durchsuchung der zweiten Wohnung zuzustimmen.

    Befragt nach den Tatsachen, die dem Verdacht zugrunde liegen, führte Richter Stärk aus, ihm sei der Umgang mit dem internet nicht vertraut. Er sei nicht in der Lage, sich die inkriminierte Homepage selbst anzuschauen. Es würde auch nicht weiterführen, wenn er Hilfestellung dabei erhalte, weil er nicht bereit sei, sich damit zu befassen.

    Mit seiner Entscheidung habe er sich gestützt auf Aussagen der Polizeibeamten. Diese hätten ihm dargestellt, auf der website des prekär-camps werde zu einer Aktion des organisierten Ladendiebstahls aufgerufen. Ihm seien Ausdrucke von internet-Seiten vorgelegt worden, auf denen "die Aktion Yomango" dargestellt werde. In welchem Zusammenhang diese zum Camp ständen, könne er nicht beurteilen.


    Wie entscheidet Richter Stärk über den Widerspruch?

    Noch vor Ort hat die Anwältin gegen die Polizeimaßnahmen Widerspruch eingelegt. Vor einer Auswertung der sichergestellten Gegenstände muss sich daher der zuständige Richter erneut mit der Rechtmäßigkeit der Aktion befassen. Inzwischen ist ihm auch bekannt, dass es sich bei den beschlagnahmten Gegenständen um die Ausstattung einer Redaktion einer regelmäßig erscheinenden Zeitschrift handelt. Dies sei ihm von den Beamten verschwiegen worden. Im Gespräch mit der Beschuldigten lehnte er es ab, sich über die Sachlage zu informieren - trotz der ganzen Ungereimtheiten, auf die er hingewiesen wurde. Es sei Sache der weiteren Ermittlungen, festzustellen, ob der Anfangsverdacht zutreffe.

    Richter Thomas Stärk billigt mit seiner Unterschrift massive Eingriffe in Grundrechte, obwohl er nichts weiß und auch nichts wissen will.


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